Heute ist es genau eine Woche her, dass wir zu unserer Reise über den großen Teich aufgebrochen sind. Viele Eindrücke haben wir bereits gesammelt, anstrengende wie erhebende Momente gleichermaßen erlebt. Seit New York waren wir außerdem jeden Tag auf dem Sprung, jeden Morgen hieß es Koffer packen und ab zur nächsten Stadt. Um nun ein wenig zu entschleunigen, ist in Montreal ein Restday eingeplant. Den Bus besteigen wir trotzdem, um auch in Montreal eine Stadtführung zu genießen. Genießen ist hier aber leider in keiner Weise das richtige Wort, mit den Stadtführerinnen der letzten Tage kann sich die nun vor uns stehende Carroll leider nicht messen.
Sie spricht erst seit 2017 Deutsch, wie sie sagt, und das merkt man leider auch. Es fehlen einfach zu viele Vokabeln. Ich sitze nah bei ihr und muss immer wieder zwischen französisch, englisch und deutsch dolmetschen. Nach einer halben Stunde werfe ich einen Blick in den Bus – die Hälfte meiner Leidensgenossen befindet sich im Land der Träume und hat wohl Dagmar vor sich, wie sie zwar wild gestikulierend links und rechts vertauscht, aber dennoch einen klasse Job in Sachen Informationsweitergabe macht. Auf dem namensgebenden Berg (Montreal – Königsberg) steigen wir aus. Von hier aus haben wir einen überragenden Blick über die Stadt, die Skyline von Montreal lädt zum Fotos machen ein. Außerdem drehen wir einen kurzen Geburtstagsgruß für unseren Nordborchener Kollegen Kuddel ab. Im Zentrum der Stadt endet sodann die Fahrt und wir verabschieden uns höflich von Carroll.
Nun geht die Erkundung erst so richtig los. Viele von uns zieht es zum St. Lorenz Strom, man flaniert am Ufer entlang. Wir begutachten die gewaltige Notre Dame Kirche, tun uns am Eis gütlich. Einige drehen sogar Runden auf der berühmten Formel 1 Strecke Circuito Gilles Villeneuve.
Auch die Lieben in der Heimat werden bedacht, die Souvenirläden durchstöbert. Während wir alle die Ramschläden besuchen, die es wohl in jeder größeren Stadt gibt, wird Tobi von einer Einrichtung namens „Noel eternel“ (unendliche Weihnachten) angezogen. Bei 26 Grad im September kann auch schon mal Weihnachtsstimmung aufkommen. Durch den jährlichen Verkauf von Weihnachtsbäumen hat unser Tobi wohl einen ganz eigenen Zugang zu diesem Fest. Zu lange hatte der Chefstratege von Müller Forst & Agrar keine Tannennadeln in den Fingern, zu lange den heimischen Hain nicht mehr gerochen. Die hier oben vorgefundene Vegetation aus Stieleichen, Schwarzpappeln und Gelbbirken verschafft ihm keine Befriedigung. Es dürstet seiner Seele nach Tannengrün, das er wohl nur in eben diesem nun vor ihm liegenden Tempel seiner Leidenschaft bekommt. Sichtlicht zufrieden kommt er einige Minuten später wieder hinaus. Strohblonder Jüngling im lockigen Haar.
Schlussendlich landen wir auf einer Rooftopbar mit genialer Aussicht in die unter uns liegenden Häuserschluchten. Montreal ist nach Paris die größte französischsprachige Stadt auf der Welt, was uns von dem geschäftigen Treiben unter uns auch eindrucksvoll vor Augen geführt wird. Die Getränke schmecken hier oben besonders gut, Weihnachtsengel Tobi muss davon abgehalten werden, einen Glühwein zu bestellen.
Bei bestem Wetter schwelgen wir hier gemeinsam in Gedanken über die bisher geniale Reise. Ohne größere Zwischenfälle haben wir wohl bereits Fotos genug, um mehrere Bildbände zu füllen. Die ein oder andere Anekdote wird im Zwiegespräch noch einmal erlebt. Die Beziehung von Kühli und Tim0 (Timo/ Tim Null) wird ebenfalls diskutiert. Der anwesende Tim1 (Tim Nagel) gibt bekannt, dass er als Kältetechniker und somit gleichermaßen Vater von Kühli noch nicht sein Einverständnis zu dieser Liaison gegeben hat. Tim0 müsse zunächst um die Hand bzw. den Tragegriff von Kühli anhalten, passenderweise könne er Schwiegervater in Spee Tim1 ja eine Kiste Bier als Brautpreis anbieten.
Nachdem wir so einen wunderschönen Nachmittag in den Straßen Montreals verleben, geht es gegen Abend wieder ins Hotel. Es folgt eine kurze Erholung im Pool, bevor wir bei einem Griechen einkehren. Der kulinarischen Vielfalt ist auf dieser Reise keine Grenze gesetzt, Steakhouse, Koreaner, Grieche – wir hatten alles schon dabei, des Morgens lockt Alex Ditz mit „Frühstücksdonuts“. Beim Griechen sitze ich erneut mit Mauli an einem Tisch, der ob eines heute abgedrehten Instagram Reels zu neuer Berühmtheit gekommen ist. Wir alle bestellen unser Essen, die Bedienung kommt aber noch einmal an den Tisch um zu verkünden, dass es leider nur Pommes statt Reis gibt. Ok, dann halt kein Reis. Unser Essen kommt, Zyklop Polyphem aus der Odysseus Sage hätte nicht mehr Lamm verdrücken können.
Nach einigen Minuten kommt die Bedienung erneut an den Tisch und bringt uns doch noch einige Schüsseln Reis. „Not for me!“ wehrt der Maulwurf aus Nordborchen lautstark ab. Ich blicke ihm ins Gesicht. Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn, ein Auge beginnt unkontrolliert zu zucken. Auf die Frage, was denn los sein, entgegnet er nur: „Ich krieg‘ hier Korea Flashbacks“. Wir alle bringen reiche Erinnerungen mit nach Hause, Mauli zusätzlich eine posttraumatische Belastungsstörung in Punkto Essen. Er wird wohl nie wieder ein All you can eat Restaurant besuchen können.
Zuletzt lassen wir den Abend in einer Sportsbar ausklingen, schließlich sind wir seit Boston alle große Football Fans geworden und folgen so gespannt dem Spiel zwischen den 49ers gegen die New York Giants.
Mit diesen Erlebnissen des Tages verabschieden wir uns nach und nach ins Bett.