Trommlercorps 1950 Kirchborchen e.V.

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Tag 11 Huntsville – Niagara Falls – Borchen

Zum vorletzten Mal erwachen wir heute auf dem amerikanischen Kontinent. Die kleine Waldstadt Huntsville begrüßt uns im Lichte der aufgehenden Morgensonne. Das typisch englische Frühstück verschafft uns Kraft für die vor uns liegende Bus Etappe, heute geht es für uns nach Niagara Falls. Bevor wir dort ankommen, dürfen unsere Augen ein letztes Mal die Ausläufer der hiesigen Waldlandschaften bestaunen. Wir sind uns alle einig, dass man hier auch durchaus mehr Zeit hätte verbringen können. Die heimische Flora haben wir zur genüge erkundet, von der Fauna hat sich unser allerdings nichts gezeigt, außer der von Agnes so verhassten Eichhörnchen.

Vor uns genießt eine Gruppe Biker die Freiheit der Straße. Nach und nach zeigt sich wieder das Wirken der Menschheit – Tim Hortons ist wieder da. Diesen liebgewonnenen Freund eines jeden Rastplatzes steuern wir sodann auch an, um eine kurze Pause einzulegen und uns kurz die Beine zu vertreten. Daniel Wegener hätte darauf wohl besser verzichtet, denn die eben noch bemängelte Fauna kackt ihm beim Verlassen des Buses sogleich auf den Leib. Aber was soll’s, bringt ja schließlich Glück.

In Niagara Falls angekommen beziehen wir sogleich unser letztes Hotel auf dieser Reise. Direkt nebenan eröffnet sich uns eine Möglichkeit fürs Abendessen, wie ich Maulwurf sogleich mitteilen muss. Es ist ein Koreaner, der mit seinem All you can eat Buffet wirbt. Mauli verfällt in ein nervöses Schweigen, die grausigen Bilder, die sich vor seinen nun glasigen Augen abspielen, vermag ich hier nicht zu schildern.

Selbstverständlich zieht es uns umgehend zu den Niagara Fällen, nach denen dieser Ort benannt ist. An der Promenade wird reichlich für Fotos posiert, um den besten Schnappschuss mit den gewaltigen Wassermassen im Hintergrund zu ergattern. Dieses gewaltige Schauspiel der Natur lässt uns demütig werden und zeigt uns auf, wie klein wir doch eigentlich sind. Nachdem wir das Spektakel aus der Ferne begutachtet haben, treten wir zu der journey behind the falls an. Diese ist aber leider etwas enttäuschend. Zwar können wir eine Aussichtsplattform begehen, die uns bis auf wenige Meter an die Fälle heranbringt, die eigentliche journey behind entpuppt sich aber als ein schmaler, betonierter Tunnel, der nur durch zwei kleine Portale einen Blick auf die Fälle zulässt. Vor diesen beiden Fenstern zur Außenwelt stürzen sich pro Minute 154 Millionen Liter Wasser in die Tiefe. Im Tunnel wird die Geräuschkulisse von einem schaurig-schönen Donnergrollen beherrscht. Ich fühle mich an die Zitadelle von Verdun erinnert, die ich noch Anfang des Jahres besucht hatte. Auch in dieser Festung des ersten Weltkrieges war die nachgestellte Akustik und die Enge der Tunnel ein Symbol für die Untaten, die da tobten. In der Geräuschkulisse nahezu gleich, ein Kontrast von menschgemachten und natürlichen Gewalten.

Am Abend besuchen wir den Skylon Tower. Dieses Wahrzeichen der Stadt hat natürlich einen Souvenirladen im Erdgeschoss. Lukas Schumacher bildet das Ende der Gruppe und betritt als letzter den Ort unserer Begierde. Noch bevor er dies tut, ist Dietmar Hölscher bereits an der Kasse des Souvenirladens, um die jüngsten Errungenschaften zu bezahlen – ein seltenes Talent.

In diesem 160 Meter hohen Turm nehmen wir unser letztes Abendmahl ein. Der Kelch geht reih um, der Verrat bleibt aus. Im Gegenteil, der Einklang dieser Gruppe ist fast in der Luft zu greifen, was auch Reiseleitung Angelika bemerkt. „Eine so homogene Gruppe wie euch habe ich selten erlebt“. Wir sind eben auch nicht irgendein Verein, wie das Westfälische Volksblatt zu Beginn der Reise vollkommen richtig bemerkte. Wir genießen das Essen mit der wohl besten Aussicht, die man auf die Niagara Fälle haben kann und verweilen im Anschluss noch einige Minuten auf dem Observation Deck. Die Nacht ist inzwischen hereingebrochen und die Fälle werden mit einem Farbenspiel aus rot und weiß verzaubert.

Einige von uns zieht es erneut zum Wasser, andere flanieren über die Vergnügungsmeile oder besuchen das Hard Rock Cafe. Um 22 Uhr begutachten wir das Feuerwerk über den Fällen in seiner unendlichen Pracht.

Ins Bett will so recht noch niemand, schließlich ist dies unser letzter gemeinsamer Abend. Eine große Gruppe aus Jung und Alt hält sich noch bis zu später Stunde im Zimmer von Nina und Cedric auf. Kühli und Kühlos sind im Verbund zugegen und werden stark beackert. „Wir haben ja auch die ganze Fahrt noch keinen richtig gehabt“, wie Lothar sagt. Lothar läuft in dieser Nacht wieder zu Hochformen auf. Als er herausfindet, dass die Zimmerbewohner gleich beide verbeamtet sind und mit mir noch ein dritter von diesem Pack bei ihm sitzt, fällt ihm alles aus dem Gesicht. „Arbeitet denn niemand mehr in diesem Land? Ich mein‘, ich hätte als Bahner ja auch verbeamtet werden können, aber ich hab‘ mich halt für’s Arbeiten entschieden!“ Schallendes Gelächter. Tobis Sprachgewandtheit im Französischen wird mit der alten Paulaner Werbung verglichen. Wenn er tatsächlich mal versucht hat, mit den Einheimischen zu sprechen, haben sie wohl auch nur „Ich möchte diesen Teppich nicht kaufen“, zu verstehen bekommen. Maschinenbaukollegen Flori Kriener fällt fast zu Boden, als er sich von seinem Sitz erheben will. Liegt natürlich am unebenen Teppich. Die Extase nimmt seinen Lauf, Cedric zerstampft zur Melodie von Cotton Eye Joe eine Hülse nach der anderen. Das Telefon klingelt. Es ist die Rezeption, ich gehe ran. „We got some noise complains down here“ – ich möchte diesen Teppich nicht kaufen.

Marlon reicht das rote Budweiser Bier durch den ganzen Saal. Irgendwann wird er zu übermütig und verteilt Lothar wohl in böser Absicht eine Dose Cola. „Was soll denn die Scheiße?“ ruft Lothar aus und muss fast erbrechen, als er den ersten Schluck nimmt. So nimmt die Nacht ihren Lauf und wir runden die Fahrt in gehöriger Weise ab.

Am nächsten Morgen haben wir noch etwas Zeit, bevor es zum Flughafen Toronto und auf den Heimflug geht. Wir können das erste Mal auf dieser Reise ausschlafen. In den vergangenen Tagen kamen wir jeweils nur spät ins Bett, zu viel gab es schließlich zu erleben und schlafen können wir auch zu Haus noch. Nach der langen Nacht nehmen wir als echte Kanadier unser Frühstück im nächsten Tim Hortons ein. Dieser Laden und seine Bagels werden uns wohl auch in freudiger Erinnerung bleiben, durch unsere Adern pumpt Ahornsyrup. Im Anschluss flanieren wir noch einmal an den Niagara Fällen entlang, geben die letzten Dollars für Souvenirs aus (Dietmar hat inzwischen wohl einen zweiten Koffer als Sondergepäck aufgeben müssen) und besuchen noch einmal die Vergnügungsmeile.

Während manche von uns die letzten Stunden nutzen, um Minigolf zu spielen, befinde ich mich auf dem Hauptplatz der Vergnügungsmeile. Ich sitze zwischen Daniel und Tim1, vor mir steht Florian M. Diese drei Experten begleiten mich schon mein halbes Leben und sind auch nun, in diesem Moment der einfachsten aller Freuden bei mir. Das Wetter ist angenehm warm, eine leichte Briese weht uns um die Nasen. Hinter uns spielt ein Laden „Beautiful Day“ von U2. Bono hat recht, dieser Tag ist wunderschön im Angesicht der vergangenen Zeiten, die mir wie eine Ewigkeit vorkommen. Ich schließe die Augen und lege die Arme um meine Freunde, das Leben ist gut.

Um 14 Uhr treffen wir uns wieder am Bus, um den Weg zum Flughafen anzutreten. Vorher nehmen wir noch ein Gruppenbild mit unserer Reiseleitung Angelika und Busfahrer Richie auf. Mit etwas Verspätung, denn Bäckermeister Uwe, sonst immer der Erste im Dorf, ist noch am Telefonieren. Im Anschluss verabschieden wir uns schonmal von Richard. Mit seiner manchmal gar zu großen Ruhe hat er uns die ganze Reise hervorragend von A nach B bewegt. Dafür und für seine 6 Töchter und 13 Enkelkinder bekommt er einige monetäre und nichtmonetäre Geschenke von uns. Angelika bedankt sich für die Reise und lobt den unglaublichen Zusammenhalt dieser Gruppe, den sie so noch nie gesehen hat.

Endlich auf der Autobahn, versuche auch ich noch ein paar Worte für die Gruppe zu finden, bevor wir am Flughafen angelangen und die Berichterstattung nun enden muss. Angelika muss gar ein Tränchen verdrücken, das war natürlich nicht meine Absicht! Zum Trost überreichen wir ihr Thermos, das Kind von Kühli und Kühlos. Diese kleine Kühltasche soll sie immer an uns und unseren manchmal zu großen Durst nach kühlen Getränken, abenteuerlichen Erlebnissen und der großen Gemeinsamkeit erinnern, die wir zuletzt zusammen erfahren durften. Außerdem bedanke ich mich bei allen Mitreisenden, die die Reise erst zu dem gemacht haben, was er geworden ist, sowie bei meinen Kollegen vom Orga Team. Eine so reibungslose Planung kann nur funktionieren, wenn die Köpfe harmonieren. Für Gedanken über eine mögliche siebte Reise ist die Zeit noch zu jung, wir vier können uns die Organisation in der Konstellation aber definitiv wieder vorstellen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verlassen wir Kanada und den amerikanischen Kontinent. Die Heimat ruft! Für die Mitreisenden wird es noch ein Nachtreffen mit allerlei Erinnerungen und Fotos geben, allen anderen darf ich bereits jetzt den ersten Samstag im Februar, Tag unser Jahreshauptversammlung ans Herz legen. Dort wird es ebenfalls eine ausführliche Berichterstattung geben. Bereits jetzt darf ich mich bei unzähligen Nachrichten zu diesem Block und über 600 Aufrufen pro Beitrag bedanken!

Vorsicht, jetzt wird es nochmal sentimental:

Hinter mir liegen Tage, Eindrücke, Kontakte, wie ich sie zuvor noch nicht erlebt hatte. So gut ich konnte habe ich versucht, diese einzufangen und in diesem Bericht abzubilden. Die Beurteilung, ob mir dies gelungen ist, steht anderen zu. Viel Arbeit habe ich davon gehabt, aber sie hat mir Freude gemacht.

Monate der Vorbereitung kommen nun zu einem Ende. Die Geschehnisse müssen erst noch verarbeitet und geordnet werden, ein erstes Resümee erlaube ich mir aber schon jetzt: Die Reise war ein einziger Erfolg. Vom uns gegebenen Wetter über die Städte bis hin zu der Stimmung in der Truppe gab es kaum etwas, das ich hier gerecht bemängeln dürfte. Die Reise darf gleichermaßen als Sinnbild stehen für das, was den Verein ohnehin in seiner Gesamtheit ausmacht: Kameradschaft, Humor, Generationen übergreifende Zuneigung. Die Gründer und geistigen Väter diese Gruppe könnten wohl zufriedener nicht sein, wenn sie uns und unseren Klang in den Häuserschluchten New Yorks sehen könnten. Aus einer kleinen Meute von 15 Personen im Jahr 1950 wurden über 50 aktive Spielleute und unzählige Vereinsfreunde, aus den Straßen Kirchborchens wurden die Straßen New Yorks, Chicagos und Philadelphias.

Was bleibt, ist die Erinnerung.

Ritzt es in meinen Stein: Ich liebe diesen Zirkus!

Lenny out.